Ein halber Tag im Schlafanzug

Letzter Tag in Guiyang. Wir fahren zum Training in die TT-/Badminton-Halle, sechs Tische sind aufgebaut. Es ist erstaunlich, wie gut die Sportinfrastruktur hier ausgebaut ist. Eine große neue Halle soll bis nächsten Juli fertig gestellt werden, vielleicht für China2010?

Florin hat gestern Abend bei den endlosen Rangeleien sein Handgelenk wieder überlastet. Es schmerzt nachts, er verlangt nach einem Schmerzmittel, hat eine schlaflose Nacht und kommt später mit Suwen im Taxi zur Trainingshalle nach, kann aber nicht mittrainieren.

Heute wird das Training von einem anderen Cheftrainer geleitet, der gestern auch beim Abendessen dabei war. Wir machen Balleimertraining an drei Tischen. Schwerpunkt ist Beinarbeit, an einem Tisch sogar große Beinarbeit mit freiem Zuspiel, Bealastung wie bei einem 100-Meter-Lauf. Nach der Pause machen wir noch Aufschlag-/Rückschlagübungen. Wir nutzen die letzte Möglichkeit fürs Training. Abschließend gibt es noch einige Beobachtungen und Tipps vom Cheftrainer mit auf den Weg, Schwerpunkt Aufschlag-/Rückschlag und das Kurzspiel. Es imponiert mir, wie respektvoll die chinesischen Trainer mit positiven Worten uns Hinweise geben, wo wir doch nach ihren Maßstäben meilenweit von ihrem Können entfernt sind.

Nach dem Mittagessen fahren wir zurück ins Hotel. Die meisten wollen zum Abschluss noch eine original-chinesische Massage genießen. Mr. Chen begleitet uns in das Hotel an der Straße, in den dortigen Wellnessbereich. Für uns ist das ganze total neu.

Erste Stufe ist eine große Badezone mit Wellnessduschen und Entspannungsbecken, verschieden temperiert, mit Wassermassagen in großen Sitzschalen und Fernsehbildschirmen an der Wand, Männlein und Weiblein getrennt. Hier laufen alle unbekleidet rum, anfangs etwas gewöhnungsbedürftig für Europäer. Fleißige (männliche) Dienstboten reichen Handtücher oder richten die abgelegten Badepantoffeln korrekt aus – alles natürlich völlig seriös.

Zweite Stufe ist ein großer Schlaf-/Massagebereich. Hierfür werden uns kurze Hemdchen und Hosen gereicht, so eine Mischung zwischen Schlafanzug und Sträflingsklamotte, alle identisch. Die Etage sieht fast aus wie eine Bettenausstellung, weitgehend verdunkelt Überall stehen bequeme Bett-/Schlafstühle, mit flauschigen Decken und Bildschirmen an jedem Stuhl. Wir werden in einen separaten Raum geleitet, in das Kino. Reihenbestuhlung, dunkel, wir sind unter uns, legen uns unter die Decken und warten. Es wird James Bond Casino Royale auf chinesisch aufgelegt und es werden Getränke gereicht. Plötzlich erscheinen an jedem Bett freundliche Asiatinnen und beginnen auf dem Bett kniend hinter uns mit einer Kopfmassage. Wir merken, dies wird kein einfacher Gang. Die Behandlung schwankt zwischen massieren, drücken, klopfen, klatschen und kneten, manchmal wird es richtig laut. Es geht systematisch von oben nach unten, von links nach rechts. Halbzeit, wir drehen uns auf den Bauch, schauen weiter Kino oder klönen mit dem Nachbarn. Nach 60 min endet die Massage, die Damen lassen sich ihre Dienste mit unserer Schranknummer quittieren und verschwinden. Stefan und André berichten später von ihrem Gänsehautfeeling, die meisten schwärmen vom angenehm-schmerzhaften Kneten am Rücken.

Und weiter gehts. Etwas Erholung, Film zu Ende schauen, vielleicht noch ein zweites Bad nehmen, dann geht es in den Aufenthaltsbereich. Hier gibt es Sitzgruppen, Zeitungen, Internetplätze, Getränke, einen Billardtisch und eine riesige Obstbar, alles frei natürlich. Wir brauchen nur auf eine Obstsorte zu zeigen und fleißige Geister bereiten uns eine Schale davon vor. Wir bedienen uns ausführlich an den verschiedenen Melonen. So ungefähr stelle ich mir das Schlaraffenland vor. Wir laufen natürlich noch alle in unseren grünen Schlafanzügen rum, die weiblichen Gäste haben rote Anzüge.

Nach einer Partie Billard gehen wir in den Restaurantbereich, bedienen uns am großen chinesischen Buffet zum Abendessen. Wir sind hier die einzigen Ausländer, aber das scheint keinen zu kümmern. Nach fünf Stunden und einer Abschlussdusche verlassen wir das Hotel und zahlen für alles rund 16 Euro pro Person! Wir laden Mr. Chen heute ein. Er berichtet, dass manche Chinesen auch einen ganzen Tag hier sind – Wellness auf chinesisch, das ist wirklich wie Urlaub.

Zurück in unserem Hotel geben einige noch eine letzte Sockenbestellung bei Mr. Chen auf. Wir packen unsere Koffer. Ich mache meine letzte Besprechung mit unseren Jungen. Ich hoffe, dass es ihnen gut gefallen hat und bin sicher, dass sie viel gelernt haben. Und für uns alle waren diese 18 Tage gefüllt mit unvergesslichen Erlebnissen. Ich habe für mich jedenfalls entschieden, dass dies nicht mein letzter China-Aufenthalt war.

Morgen fliegen wir zurück. Mal sehen, was wir mit unserem Übergepäck machen.

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