Eine große Familie

Letzter voller Tag in Changsha. Wir wollen noch mitnehmen, was mitzunehmen ist. Aber erst einmal verabschieden wir uns von Suwen. Suwen fährt schon vor unserem Training zum Flughafen, auf einen Abstecher zu ihren Eltern. Wir verabschieden uns alle kurz aber herzlich, für mehr ist leider keine Zeit. Suwen hat hier in China 18 Tage lang von morgens bis abends für uns organisiert, die gesamte Kommunikation und Koordination zu unseren chinesischen Partnern übernommen und daneben noch ihre beiden Kindern beschäftigt. Wir sind ihr großen Dank schuldig. Ich freue mich sehr, dass Suwen und ich so gut zusammen arbeiten. Wir können uns voll aufeinander verlassen. Und uns macht es Spaß, wenn Suwens Kinder unsere Gruppe auflockern und auch den Kindern gefällt es, zwischen so vielen „Großen“ zu sein. Suwen meint, wenn wir auf der Reise sind, ist es wie eine große Familie – und so ist es auch. Jetzt muss Suwen mit zwei großen Koffern, drei Taschen und zwei Kindern bepackt weiter reisen. Zum Glück ist Joel schon groß, schiebt einen Koffer allein.
Kurze Zeit später sind wir im Bus. Es geht wieder in das Internat. Wir haben vormittags auswärts Training, nachmittags wieder bei uns. Mit der Halle haben wir nicht mehr ganz so viele Probleme, haben uns an das Licht und den Boden etwas gewöhnt. Wir wollen die Wettkämpfe vom Vortrag fortsetzen. Leo trainiert, spielt nicht mir, bekommt zwei Chinesen, die sich jeden Ball abwechseln. In China ist das eine übliche Trainingsform bei ungerader Zahl, für Leo ist es neu und ungewohnt. Die anderen spielen wieder in 2-er-Mannschaften, Deutsche gegen Chinesen. Wir haben Spaß an den Spielen, wenngleich mehr Spaß als Erfolg.
Für den Nachmittag haben wir noch ein letztes Mal Balleimertraining angesetzt. Die Chinesen kommen wieder zu uns, alle, und vier Chinesen spielen uns die Bälle zu. Wir sind mit zwei Aktiven am Balleimer, immer zwei Deutsche im Wechsel. Die Spieler sind nach 10 Minuten nass und nach 30 Minuten klitschnass. Aber es macht Spaß. Die Chinesen können gut einspielen und geben sich auch viel Mühe bei der Korrektur. Auch der neue Cheftrainer schaltet sich ein, gibt viele Tipps. Einige trainieren wieder das Anspiel in die weite Vorhand, mit Kreuzschritt. Diesmal geht es schon deutlich besser, Malte und Leo haben den Bogen jetzt raus, machen ein Super-Training. Alle hängen sich ausnahmslos rein, 60 Minuten Balleimer im 2-er-Wechsel mit jeweils 150-200 Bällen pro Durchgang, spielen und sammeln, das schlaucht, alle triefen nur in ihren Hemden. Kurze Pause. Ich stimme alle ein auf die vermutlich letzten 45 Minuten chinesische Ballkiste in diesem Jahr. Mit Erfolg – alle quälen sich trotz nasser Hemden durch die zweite Halbzeit. Nur Michel macht Aufschläge, er will noch so viele Anregungen aus seinen Aufschlagtipps ausprobieren, das ist richtig. Am Ende war es heute wohl mit die beste Trainingseinheit, die wir erlebt haben, vielleicht noch neben der Ballkiste auf dem Exerzierplatz.
Ich gebe dem Universitäts-Chef-Trainer und dem Sport-Chef noch ein Abschiedsgeschenk, ein HTTV-Handtuch, Sasel-Wimpel und ein laminiertes Foto mit unseren Unterschriften. Und auch er hat eine Medaille für mich, mit schönem Etui. Dann sagen wir der Halle auf Wiedersehen. Gleich geht es weiter, wir haben noch einen Abschiedsessen, sind von der Universitätsleitung zum Dinner eingeladen worden. Es ist nicht so offiziell, sagte Suwen, die Kleiderordnung ist locker, das heißt für die Teilnehmer T-Shirt und kurze Hose. Ich halte es für angemessen, meine lange schwarze Hose und ein weißes Hemd anzuziehen. Ich erwarte Universitäts-Obere, die können wohl Englisch sprechen, denke ich mir und nehme meine Abschiedsgeschenke mit, dazu noch im Geiste ein paar Stichworte für eine kleine Rede. Wir werden mit dem Bus zu einem nahegelegenen Hotel gefahren, bekannt für Geburtstagsfeierlichkeiten. Ich werde als erstes dem Vize-Präsidenten der Universität vorgestellt, ein Molekularbiologe, wie er mir später sagt, daneben noch einigen anderen Universitätsgrößen. Mr. Fan ist auch dabei, ebenso der Sport-Chef, der Material-Chef und der Chef-Trainer sowie einige Ehefrauen. Ich werde an Tisch 1 neben dem Uni-Vize platziert, Thomas auf der anderen Seite, und der Tisch mit den weiteren Chinesen besetzt. Unser Team sitzt komplett an Tisch 2.
Die offizielle Begrüßungsrede kommt diesmal gleich zu Beginn, auf Chinesisch, ein Uni-Vertreter übersetzt ins Englische. Sehr typisch – auch hier wird neben den Willkommensworten um Nachsicht gebeten, falls etwas in der Organisation nicht so gut geklappt haben sollte. Ich antworte wieder, diesmal auf Englisch, ohne Dolmetscher. Ich sage etwas zum sportlichen Teil, erwähne aber auch die Chinesische Kultur, das Essen und die Landschaft und vergesse auch den Toast auf den Gastgeber nicht. Irgendwie fallen mir die Worte gut ein, es kommt recht flüssig heraus, wenn auch bestimmt nicht fehlerfrei. Aber dafür, dass es meine erste freie Ansprache auf Englisch ist, bin ich ganz zufrieden.
Das Essen ist für unseren Gaumen recht gut geeignet, mild gewürzt. Mr. Fan hat sich offenbar einige Speisen nennen lassen, die wir gern essen und auch im Restaurant regelmäßig bekommen haben. Das Essen dauert rund 75 Minuten, es wird wieder viel angestoßen, jeder mit jedem. Diesmal bekomme ich immer wieder Rotwein nachgeschenkt, kann mich aber noch beherrschen und fange weder an zu lallen noch zu torkeln. Gegen Ende erhalte ich noch ein Gastgeschenk, eine große Plakette mit Etui und eine Briefmarken-Schrift über die Universität, ein Buch mit einer Kombination von Briefmarken und Erläuterungen. Im Gegenzug übergebe ich eine Flasche Wein, mein letztes HTTV-Handtuch und einen Sasel-Wimpel. Und ich freue mich, dass nun schon über zehn Sasel-Wimpel in China verteilt rumschwirren, das macht einen Wimpel auf rund 100 Mio. Chinesen – wir werden immer bekannter. Wie üblich endet das Essen abrupt, der Vize-Chef steht, sagt auf Wiedersehen, und geht samt Anhang.
Wir lassen den Abend locker ausklingen, wollen noch etwas Spaß und vielleicht noch etwas erleben. Die beiden Patricks gehen in die Karaoke-Bar im Hotel, haben sich mit fünf Mädels verabredet, aus dem Kosmetikstudio unseres Supermarkts. An kann dort Räume mieten, mit einer Sound- und Videoanlage, sich Titel wähle, alles im privaten Umfeld. Später erzählen sie, dass es etwas schräg war, die Mädels viele Fotos gemacht haben und die Mädchen etwas gesungen haben und nach zwei Stunden war Schluss. Dann sind die beiden noch durch die Stadt gelaufen, in eine Tanzbar gegangen, es war aber auch wieder eine Karaokebar. Viel Geld brauchten die beiden nicht, wurden immer mal wieder eingeladen.
Ich gehe noch mit einigen anderen raus, gebe ein Eis aus. Jeder verabschiedet sich in Gedanken von Changsha. Ich denke, es hat allen ganz gut gefallen. Suwen schickt mir abends spät noch eine SMS, jetzt ist sie auch bei ihren Eltern angekommen. Nachts um zwei trifft sich eine Gruppe unserer Nachtschwärmer noch mit den beiden Patricks, alle gehen noch einmal in die hoteleigene Karaokebar und lassen sich weiter einen ausgeben. So zwischen drei und vier sind dann die letzten in den eigenen Betten.
Für morgen steht nur noch die Heimreise auf dem Plan. Um 14.15 Uhr wird der Bus vor dem Hotel erwartet. Einige packen schon. Hannes hat uns von seiner Heimreise vor einer Woche mit wichtigen Informationen versorgt. Die Wartezeiten beim Einchecken sind sehr lang und es gibt oft auch mehrstündige Verspätungen bei Inlandsflügen, gerade nachmittags. Wir haben einen zeitlichen Puffer – ob der reicht?

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