Erfahrungen des Bundesranglistenfinales: Doping für den Schläger und verdeckte Aufschläge – Utopie des fairen Sports?

Von 23. Oktober 2016 Allgemein 2 Kommentare

Die Zeiten in denen Timo Boll den Fairnesspreis für sich und unsere Sportart gewann, liegen weit zurück. Mehr noch: Sie sind vorbei. Fairness bedeutet für mich allgemein ehrbaren Grundsätzen des Sports wie Gleichberechtigung und Solidarität Vorzug vor Punkt-, Satz- oder Spielgewinnen zu geben. Leider decken sich diese für mich elementaren Grundprinzipien nicht mit meinen Erfahrungen der letzten Jahre und insbesondere nicht mit denen des vergangenen Wochenendes.

Die Personifikation der Fairness in unserem Sport und vor allem deshalb großes Vorbild, ist für mich immer Timo Boll gewesen, dessen Siegeswille nie größer war als sein Selbstverständnis als fairer Sportler. Bei von Schiedsrichter und Gegner nicht erkannten Kantenbällen zögerte er nie die Fehlentscheidung zu Gunsten des Gegners zu korrigieren. Bei seinen Aufschlägen achtete er stets darauf, dass der Gegner den Ball die ganze Zeit und insbesondere beim Zeitpunkt des Balltreffpunktes sehen konnte.

Fairness im Tischtennis bedeutet für mich jedoch auch zumindest materiell im Rahmen der Regeln die gleichen Möglichkeiten zu haben und letztlich die eigene spielerische Leistung Hauptgrund für Sieg und Niederlage darstellt und nicht die Beschaffenheit des Schlägers.
Die Produktionsfirmen im Tischtennis – und das ist mittlerweile jedem bekannt – produzieren für den gleichen Belag verschiedene Qualitäten. Amateurspieler haben keine Möglichkeit einen Belag zu kaufen, der wie der der Profis „vom Werk vorgetunt“ und damit qualitativ hochwertiger ist. Sie müssen den verbotenen Weg gehen, indem sie sich Tuner zulegen und die Beläge vor dem Kleben tunen.

Am vergangenen Wochenende, bei dem ich als Spieler beim Bundesranglistenfinale teilgenommen habe, musste ich erneut feststellen, dass insbesondere die Topgesetzten besonders gerne bescheißen. In meinem Gruppenspiel gegen einen Topgesetzten gab es für mich bei seinem Aufschlag keine Möglichkeit den Ball zu sehen und den Schnitt gut zu erkennen, was dazu führte dass meine Rückschläge immer schlechter wurden und er auf Grund seines ohnehin höheren Spielniveaus keine Probleme mehr hatte einzulochen. Wir sind seit langer Zeit sehr gut befreundet und ich weiß, dass es für ihn wichtig ist bei solchen Turnieren gut zu spielen. Früher, als wir gemeinsam in der Jugendnationalmannschaft waren, hatte er jedoch noch anders aufgeschlagen, regelkonform. Was ich seit einiger Zeit beobachte ist, dass vor allem Spieler die viel in Düsseldorf trainieren und Teil der Nationalmannschaften sind, besonders verdeckte Aufschläge haben. Es scheint mir eine Art Umdenken in Sachen Aufschlagtraining gegeben zu haben, denn früher machten mir die Spiele gegen meine Freunde aus der Nationalmannschaft viel mehr Spaß. Es wurde weder getunt, noch gezielt verboten aufgeschlagen. Heute haben die Niederlagen gegen solche Spieler für mich immer einen schlechten Beigeschmack.

Ein weiteres amüsantes Gespräch hatte ich mit einem anderen Topgesetzten, der beobachtet hatte, dass ich am Freitagabend ungetunte und damit völlig legale Beläge auf meinen Schläger klebte. Er konnte es kaum glauben und roch tags darauf nochmal zur Sicherheit an meinem Schläger – wieder kein Geruch des Tuners. Völlig ungläubig und im Spaß bezeichnete er es als Dummheit, da er selbst natürlich direkt mehrere Schichten getunt und zusätzlich sein Holz noch mit Sekundenkleber verstärkt hatte, damit der Belag bei der Messung dünner erscheint als er tatsächlich ist.

In diesem Zusammenhang fällt jedem Tischtennisinteressierten Japans Starspieler Jun Mizutani ein, der ein Jahr lang auf Teilnahmen an der World Tour verzichtete (http://www.mytischtennis.de/public/international/3318/boykott-jun-mizutani-protestiert-gegen-schlaegertuning). Sein Protest gegen das „Tunen“ der Beläge, was mittlerweile auch bei Spielern der 2. oder 3. Liga in Deutschland als selbstverständlich gilt, schien bis zu diesem Zeitpunkt die erste wirklich ernsthafte Kritik, denn es besteht real ein Wettbewerbsvorteil für denjenigen der getunte Beläge spielt. Dass ein Weltklassespieler wie Mizutani aus finanziellen und entwicklungstechnischen Gründen nicht länger als ein Jahr auf der World Tour fehlen kann, ist verständlich. Dass selbst Mizutanis Boykott und Bolls Aufruf nach strengeren Kontrollen durch Laboranalysen der Beläge nach Wettkämpfen kein Gehör findet, zeigt wie wenig Sinn die Verantwortlichen für den Fairnessgedanken noch besitzen.

Es stellt sich mir die Frage: Wo wollen wir mit unserem Sport hin?
Das Tuner-Problem ist relativ leicht zu lösen. Wir kehren einfach zu Verhältnissen des Frischklebens zurück, nur dass der Tuner nicht gesundheitsschädlich oder in sonstiger Art und Weise gefährlich ist (wenn dem so ist). Alles andere als eine Regel- oder eine Kontrolländerung (Laboranalyse der Beläge nach den Spielen) wäre unlogisch und dumm.

Was die Aufschlagproblematik angeht: Auch hier gibt es zwei Lösungen. Entweder wir kehren zurück zur alten Aufschlagregel und ärgern uns über noch weniger anschauliche Ballwechsel oder die Schiedsrichter agieren konsequenter mit Punktabzügen für den Falschservierer. Für mich würde Ersteres einen Rückschritt bedeuten.

Liebe Spieler (natürlich nicht alle) aus Düsseldorf: Bitte gebt mir doch die Möglichkeit bei meinen Niederlagen gegen euch trotzdem Spaß am Spiel zu haben und nicht mit euch über Regeln diskutieren zu müssen.

Bis dahin, euer hoffnungsvoller

Leon

2 Kommentare

  • tomkrause sagt:

    Das ist ja eine bedauerliche Entwicklung und erinnert mich an die Materialschlachten in den 80er Jahren. Aufstampfen, gleichfarbige Beläge, verdeckter Aufschlag – das machte keinen Spaß mehr, außer Renato M. Eine Lösung wäre doch Einheitsmaterial und Einheitsaufschläge: Sriver L, 1,9mm, beide Seiten, Abwehrer dürfen eine Barna-Noppe auf die RH kleben, Aufschlag nur mit der RH vor dem Körper. Für die Spieler im leistungsorientierten Breitensport – bspw. Vierte Vor! – bleibt leider auch heute schon die Erkenntnis, dass es genügend Spieler gibt, die regelkonforme Aufschläge machen, die man troztdem nicht ordentlich returnieren kann, bspw. Felix B. oder Jorge Acevedo, oder …
    Für uns stellt sich auch lediglich die Frage „Wo wollen wir nach dem Sport hin?“ – für die Vierte Vor! ist die Antwort klar!
    Mit sportlichen Grüßen aus der talentbefreiten Zone.

  • Rene sagt:

    Lieber Tom, als in den 80er Jahren die gleichfarbigen Beläge abgeschafft wurden, kündigten mir meine Gegner und Freunde den Untergang an. Aus ihrer Sicht lebte ich nur von dem Materialvorteil. Auch heute können viele Gegner den Erfolg von Material-Spielern nur schwerlich anerkennen. Es ist nicht selten, das unterlegene Gegner anstatt eines Glückwunsches zu der Feststellung gelangen, man hätte nur wegen des fiesen Spiels und der Sch… Noppe gewonnen. Tatsächlich ist die Vielfalt der verschiedenen Spielmodelle in den vergangenen Jahren unter die Räder gekommen. Fast alle Hamburger Kaderspieler verwenden das gleiche Aufschlagsportfolio und spielen Speed. Die Tenergy-Generation ist aus meiner Sicht vergleichbar mit den modernen Carvern beim Skifahren. Die wenigen Freaks, die kein Mainstream spielen, werden mit „ekeliger Spielweise“ oder ähnlichen Merkmalen klassifiziert. Der Tennis-Sport kennt eine ähnliche Entwicklung, wenngleich sich die Zuschauer einen Jimmy Conners oder John McEnroe herbeiwünschen.

    Leon, das ist ein ganz wertvoller und wichtiger Beitrag von Dir. Vielleicht ist es ein Wakeup-Call für die Schiedsrichter-Szene, die sich bitte mit Deinen Beobachtungen auseinander setzen und äußern soll. Generell gilt: Leistungssportler und Professionals gehen immer an ihre Grenzen und ein wenig darüber hinaus! So etwas finden wir auch im Berufsleben. Weltweit. Nur Regeln und ihre konsequente Überprüfung sind m. E. als Werkzeuge geeignet.

    René

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