Turnier China – Hamburg

Wir sind alle pünktlich beim Frühstück. Nils hat inzwischen geduscht. Michi zieht den Verzicht aufs Frühstück vor, will lieber noch schlafen. Er kommt aber pünktlich in die Halle. Für heute ist ein Turnier angesetzt, Chinesen gegen Deutsche, jeder gegen jeden. Das hatten wir noch nicht.
Ich putze mir gerade die Zähne, da setzt die Wasserversorgung aus. Das gab es auch noch nicht. Bad und Dusche stehen still, spritzten nur Luft und einzelne Wasserspritzer raus. Der Wasserkasten reicht für einen Toilettenspülgang. Ich habe zum Glück ein Einzelzimmer, bis mittags wird es wohl gerichtet sein.
Wir machen Wettkämpfe. Alle unsere Spieler stehen an einem der 15 Tische, die Chinesen stellen sich dagegen. Und dann wechselt jeder Deutsche nach jedem Spiel im Kreis den Tisch, während die Chinesen stehen bleiben. So ist gesichert, dass keiner gegen einen Gegner doppelt spielen muss.
Bei einem Spiel führt PatrickB gegen einen 13-jährigen mit 2:0. Der Trainer geht zu dem Kleinen und kündigt ihm einen Tritt in den Hintern an, falls er 0:3 verlieren sollte. Am Ende gewinnt Patrick mit 3:2. Kristin spielt ihren Gegner in eine Ecke aus, der Gegner zieht gegen und Kristin schießt mit voller Kraft und vollem Risiko in die andere Ecke gegen – die Chinesen sagen alle „wow“ und applaudieren. Man muss halt seine Energie aus solchen Bällen holen.
Reihe 1 der Chinesen ist für uns unschlagbar, sie haben wohl das Niveau Regionalliga oder 2. Bundesliga. Da bekommen auch unsere starken Spieler den Popo voll. Und bei den schwächeren Spielen reicht es für unsere schwächeren Spieler auch im Regelfall. Aber in Reihe 3 und 4 haben wir zumindest Chancen. Am Ende des Vormittags haben PatrickB, Michel und Philipp jeweils ein Spiel von sechs Spielen gewonnen, die Vormittagsbilanz sieht mit ca. 3:84 Spielen noch ausbaufähig aus. Manchmal sind wir in den fünften Satz gekommen oder haben zumindest einige Sätze geholt. Aber einige Spieler sind auch mit 0:18 Sätzen rausgekommen, sind deprimiert, etwas mehr hätten sie doch erwartet.
Hier lernt man als deutscher Tischtennisspiele Demut, aber auch, was alles möglich ist. Die Chinesen spielen zum Teil mit lockeren Netzen, manche haben ihre Schlägerbeläge falsch herum aufgeklebt, damit sie den noch nicht abgespielten unteren Bereich des Belags oben haben und nicht so oft neue Beläge kaufen müssen. Eine Lücke im Teppich stört hier keinen. Und dann spielen sie locker auf Oberliga-Niveau. Bei uns gibt es Perfektionisten, die das Netz auf den Millimeter ausmessen müssen und sich über jede kleine fehlende Kleinigkeit oder Unregelmäßigkeit prima aufregen können, nur spielen können sie nicht.
Die Chinesen spielen fast alle mit einem Hurricane-III auf der Vorhand, ein glänzend-klebriger Belang mit sehr hartem Schwamm, der in unterkühlten deutschen Hallen schwer spielbar ist, hier aber offenbar als bester Belag für den harten Erstschlag angesehen wird. Nils hat sich seine abgespielte Vorhand auch schon kopfüber aufgeklebt, es funktioniert.
Wir hoffen bei den Wettkämpfen auf den Nachmittag und auf etwas Kraft aus dem Mittagsschlaf. Wir müssen es als Trainingsspiel sehen, sollten versuchen umzusetzen, was wir im Training geübt haben und zumindest die eigenen Aufschläge durchbekommen. Während wir uns zum Nachmittagstraining treffen, kommt ein Bote vom Tischtennis-Shop. Er bringt einen neuen Belag für Malte und ein Paar Schuhe für Michi. Schöner Service, dazu alles recht günstig.
Jemand sagt, dass Jonasz im Bett liegen geblieben ist, er nicht fit sei. Ich hole ihn noch aus dem Bett, er klagt über Muskelkater. Kann gut sein, den hat er sich vielleicht vom Disco-Balleimer geholt. Aber ich ziehe ihn mit in die Halle. Später freut er sich, weil er ein Spiel gewinnt. Leo bleibt auch im Zimmer, erscheint einfach nicht in der Halle. Ich merke es erst nach zwei Stunden, die Gruppe ist schon so groß. Nicht schön. Vermutlich war er noch deprimiert vom 0:18 am Vormittag.
Nachmittags machen wir nur jeweils vier Spiele, rund 55 Spiele insgesamt, von denen wir sechs Spiele gewinnen, etwa 10%. Immerhin besser als am Vormittag. Dass die Siege zumeist gegen 12- bis 13-jährige schmächtige Jungen oder Mädchen kamen, stellen wir mal etwas in den Hintergrund. Bis zum Ende können PatrickB, Michel, Jonasz und Malte jeweils ein Spiel gewinnen. Philipp gewinnt zwei Spiele und PatrickM wird mit drei Siegen und einer persönlichen 3:6-Bilanz Tagessieger.
Während des Turniers bereitet mich Suwen darauf vor, dass die Chinesen vielleicht doch nicht länger bleiben. Es gibt Probleme mit der Genehmigung und den Finanzen. Das hätte auch Auswirkungen für uns. Einerseits könnten wir am Sonntag noch einmal einen TT-freien Tag nehmen, das brauchen wir auch. Andererseits muss Suwen ab Montag dann noch Spielpartner organisieren. Gegen Turnierende machen wir noch gemeinsame Fotos, die deutschen und die chinesischen Partner zusammen mit den Trainern. Und erst als alle die Halle verlassen, scheint es fest zu stehen. Die chinesische Gruppe fährt in ihre Sommerferien. Wir haben gar nicht recht die Möglichkeit uns von den Spielern zu verabschieden, von unseren Spielern weiß es ja kaum keiner. Nur Jonasz Spielpartner sagt good bye. Michl und Malte werden noch von einem Chinesen gefragt, ob sie Zwillinge seien, sie sehen sich so ähnlich. Was würden die Chinesen wohl sage, wenn wir wirklich mal Zwillingen dabei haben?
Schade, dass die Chinesen gehen müssen. Ich informiere alle Teilnehmer beim Abendessen. Wir sind überrascht und etwas traurig. Wir werden den Spielern noch eine Abzug von dem gemeinsamen Foto zukommen lassen, als kleines Dankeschön und zur Erinnerung. Darüber würden sich die Spieler bestimmt freuen, meint Suwen.
Der Abend steht zur freien Verfügung. Nils, PatrickM, Nisse, Joel und Louis gehen noch zur Massage. Patrick will erst nicht, aber ich motiviere ihn mit allen Mitteln, dass er dann doch geht. Er macht ein Gesicht, als würde er zu Schlachtbank geführt werden. Aber man muss solche Gelegenheiten einfach auch nutzen, wenn sie sich bieten. Nisse ist zum zweiten Mal dabei. Suwen, Michi, Jonasz und ich schauen zu, erhalten leckeres Obst und einen Kamillentee, den besten Kamillentee meines Lebens.
PatrickM, Nils, Jonasz, Michi und Michel gehen noch zum Supermarkt, wollen noch etwas von der leckeren Vanillesoße kaufen, Marke Panda. Sie fragen eine Chinesin danach. Die Chinesin ist sehr hilfsbereit, holt für die Gruppe von irgendwo Strohhalme her. Vermutlich hat das Wort Panda eine phonetische Ähnlichkeit mit dem Chinesischen Wort für Strohhalme. An der Kasse gibt es eine Auseinandersetzung. Zwei Männer gehen aufeinander los, streiten und schlagen sich. Wir wissen nicht, worum es geht. Am Ende verlässt einer mit einer stark blutenden Platzwunde an der Stirn den Supermarkt. Es ist schon merkwürdig. Wenn man durch die Straßen oder Märkte geht, wirken die Chinesen total friedlich und entspannt. Gelegentlich bekommen wir als Europäer mal neugierige Blicke zugeworfen oder ein freundliches „Hello“. Es ist kein Anzeichen von Argwohn oder gar Ablehnung zu erkennen. Und doch muss es für Chinesen Situationen geben, in denen sie sich unter einander in der Öffentlichkeit streiten und die Kontrolle verlieren, wie wir es bei uns nicht kennen.
Morgen machen wir nach dem Vormittagstraining endlich einen Erholungstag, das haben wir auch nötig. Wir wollen möglichst viel am Wasser verbringen und abends noch ein Feuerwerk beobachten. Mal sehen, ob alles klappt wie geplant…

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