Anfang Februar muss es gewesen sein, als Peter mich anrief. Ich, der ich eingepfercht in eine kleine, düstere Kammer mit einem Tintenfüller gerade das erste Kapitel meines Magnum Opus beendet hatte. Ob ich die erste Herren gegen Lunestedt unterstützen könne, fragte er. Eine Mischung aus ehrfürchtigem Schaudern und unbändiger Freude überkam mich. Zum einen war da die Wall of Death, der Lune-Bauer mit seiner Heugabel, der jeden meiner – angesichts meines niedrigen Trainingsumfangs sehr wahrscheinlichen – Fehler mit Sprechkören sanktionieren würde. Zum anderen war da der Reiz bundesligaähnlicher Spielatmosphäre, der mir gepaart mit dem Erlebnis des Eingeflogen-Werdens das Gefühl zu geben versprach, es doch noch zu einer Profi-Karriere gebracht zu haben. Natürlich überwog letzterer.
Eineinhalb Monate später saß ich mit Olli, Leon, Tobi, Malte und Jon in einem 7-Sitzer auf dem Weg nach Lunestedt. Der Wagen, offiziell als 7-Sitzer ausgegeben, war eher ein 5-Sitzer mit zwei Kindersitzen. Dementsprechend intensiv waren die Dispute darüber, für wen es eng werden sollte. Tobi versuchte mit einer Moser-Strategie seine Leidenszeit zu minimieren. Die Glaubwürdigkeit seiner Argumente wurde jedoch später von Jon unterminiert, der sich mit knapp zwei Metern Größe nicht ein einziges Mal über die Enge beschwerte. Tobi versuchte es noch mit einer verzweifelten „genetische-Zufälligkeiten-sollten-nicht-darüber-bestimmen-wer-das-Recht-hat-komfortabel-zu-sitzen“ Strategie, von der sich das Demagogie-resistente Publikum aber nicht täuschen ließ.
Die restliche Zeit Autofahrt lang scheltete Cineast Olli die Jugend für ihre Kulturignoranz in Punkto bedeutsame Filme („Ihr kennt ‚Spiel mir das Lied vom Tod‘ nicht!?“). Mit umgehender Wirkung verordnete er das Abarbeiten seiner All-Time-Favourites Film-Liste. Wo wir schon bei Filmen sind: In einem sehr bekannten Hollywood Kriegsfilm („Duell – Enemy at the Gates“) gibt es eine packende Szene in der sich ein Soldat für sein Land opfert, in dem er sich von einem russischen Scharfschützen erschießen lässt, der damit seine Position verrät und dem amerikanischen Scharfschützen ins offene Messer läuft. Ähnliches geschah auf unserer Hinfahrt letztes Jahr. Malte hatte sich in einem Akt äußerster Selbstlosigkeit bereiterklärt, Ollis Punkte in Flensburg zu übernehmen, in dem er todesmutig vorausfuhr und sich absichtlich blitzen ließ und damit Olli die Position der Blitzer verriet. Was waren das noch für Zeiten bedingungsloser Hingabe an den Verein.
Nun aber zum Spiel. In Lunestedt angekommen, machte ich mich erstmal mit der Dartscheibe im Klubraum vertraut, der Rest der Mannschaft spielte sich ein. Leon, durch seine zahlreichen Dart-Niederlagen aus unserer WG-Zeit scheinbar immer noch traumatisiert, konnte auch mein Argument, der Dartpfeil wirke sich positiv auf den TT-Touch aus, nicht überzeugen gegen mich anzutreten. Fasziniert erfuhr ich, dass wie durch ein architektonisches Wunder die Summe aus vier Bodenplatten im Klubraum der Lunestedter genau den offiziellen Abstand von der Dartscheibe ergaben. Bei der Begrüßung stand uns die neunte Infanterie Niedersachsens gegenüber. Wie beim Militär üblich, herrschte eine ausgeprägte Pünktlichkeitsmoral. Es bestand offenbar kein Bedarf die Truppe durch unkonventionelle Anfangszeiten (12:10) zum rechtzeitigen erscheinen zu bewegen.
Obwohl wir in der Vergangenheit fast immer vor Lunestedt in der Tabelle platziert waren, hatte uns der Verein stets Probleme bereitet. Wir hatten gehofft es wäre Jonah Schlie gewesen. Doch dem war leider nicht so. Schon die Doppel verliefen suboptimal: Leon und Jon bekamen es mit einer Doppel-Kombination von doppeltem Seltenheitswert zu tun. Dem Linkshänder- und 1&2-Doppel aus Matti von Harten und Martin Gluza (von nun an: M&M) unterlagen die beiden In einem nicht chancenlosen Spiel 1:3. Tobi und Olli waren länger nicht gemeinsam im Doppel an den Start gegangen. Das war ihnen zunächst auch anzumerken. Zwar gingen die Sätze eins und zwei an unsere über-die-Relevanz-von-Sloterdijk-im-Streit-liegenden, doch souverän sah anders aus. Es brauchte erst einen Satzverlust um den beiden gutes Tischtennis zu entlocken. Malte und Janni, beide zur Zeit nicht gerade ihren zweiten Tischtennis-Frühling durchlebend, spielten erstaunlich passables Tischtennis und hätten im fünften Satz nach hoher Führung eigentlich gewinnen müssen. Von der ersten Bodenoffensive der Lune-Fans getragen, liefen Anton Depperschmidt und Dennis Pump jedoch gegen Ende des fünften Satzes zur Höchstform auf (2:3).
Unseren 1:2-Fehlerstart wusste zum Glück unser von Matti von Harten zurecht gelobtes oberes Paarkreuz zu korrigieren. Olli, der von seinem neuen Trainingspartner Lleyton noch mehr zu profitieren scheint als dieser selbst, blieb gegen Matti von Harten einmal mehr ohne Satzverlust und weitete seine Bilanz auf ein nun gigantisches 18:1 aus. Wenn er so weiter macht, wird ihn die Niederlage gegen Witter noch schlaflose Nächte bereiten. Leon, mit 17:9 ebenfalls ein Punktegarant, lies Martin Gluza beim 3:0 ebenfalls keine Chance. Bayern hat Robbery. Wir haben Alkich.
Unser mittleres Paarkreuz knüpfte zwar an die guten Leistungen des oberen Paarkreuzes an, konnte zwei heiß umkämpfte und sehenswerte Fünfsatz-Partien jedoch nicht in Punkte verwandeln. Tobi unterlag Depperschmidt in einem vom ständig hin- und her zirkulierenden Glück geprägten Spiel in dem beide als verdiente Sieger vom Tisch gegangen wären. Malte, der zuletzt von Hüftbeschwerden geplagt war, machte ein mehr als ordentliches Spiel gegen Jungspund Heye Koepke, doch auch er wurde am Ende nicht mit einem Punkt belohnt (2:3). Getragen von innbrünstigem Siegeswillen ritt dann Double-J aus, um den Schlachtverlauf in die richtige Richtung zu lenken. Jon, der schon mehrfach seine Regionalliga-Tauglichkeit unter Beweis gestellt hatte, tat dies auch heute wieder. Leider jedoch konnte er seine 2-1-Führung nicht in einen Sieg ummünzen, sodass erst durch Jannis Sieg über Dennis Pump (3:2) das Lunestedter Power-Play endete (4:5).
In Runde zwei trugen die Siegreichen ähnliche Namen. Alkich schlug erneut zu, wenn auch mit minimalen Effizienzabschlägen. Olli versuchte gegen Martin Gluza den Weggang des vom Lunestedter Publikum sicherlich schmerzlich vermissten Jonah Schlie mit ein paar gekonnten Sägen zu kompensieren. Das Lunestedter Publikum dankte es ihm mit Applaus (3:1). Leon bereitete das Spiel Matti von Hartens mehr Probleme als das Gluzas, er ging im Linkshänder-Duell aber erneut als verdienter Sieger vom Tisch. Tobi, dessen Bilanz sein Spielpotential nach einhelliger Meinung in keiner Weise repräsentiert, konnte nun endlich etwas zählbares mit nach Hause nehmen. Er bezwang Heye Koepke 3:1. Malte drehte dann endgültig das Ruder um. In einer erneut starken Partie bezwang unser angehender Elektrotechniker Vorhand-Ungeheuer Depperschmidt in der Verlängerung des fünften Satzes.
Beim Stande von 8:5 waren damit die Vorzeichen für einen Sieg eigentlich bestens. Doch wir hatten unsere Rechnung nicht mit Double-D gemacht. Dennis Heinemann, gegen den ich in der Vergangenheit schon knappere Spiele gemacht hatte, plagte mich an diesem Tag mit bis dato (von mir) nicht gekannten Aufschlägen (1:3). Am Nebentisch hatte auch Jon mächtig Probleme mit den Aufschlägen und Bananen-Spins von Dennis dem Zweiten (1:3), sodass es schließlich in ein vor ca. 130 Zuschauern ausgetragenes Abschlussdoppel ging.
Ich denke jeder der anwesenden Spieler hätte nichts dagegen gehabt hier aufzulaufen. In einem hochspannenden und von ständig wechselnden Oberhänden geprägtem Spiel leisteten M&M schließlich den letzten Beitrag zum Lunestedter Glück. Von frenetischen „Lunepower“-Chören getragen, sicherten sie ihrer Mannschaft in der Verlängerung des fünften Satzes einen wichtigen und dementsprechend zelebrierten (siehe Video) Punkt im Abstiegskampf. Während wir uns erfreulicherweise in Sicherheit wiegen können, setzen Poppenbüttel und Lunestedt ihren dramatischen Kampf um den Relegationsplatz fort. Wir sind gespannt wie er ausgeht.
Sehr stimmungsvoller Bericht mit interessantem „Lunepower“-Videomaterial. Jan-Niklas zeigt damit auf, dass er nicht nur wegen seiner Künste am Tisch, sondern auch am Schreib-Tisch als Berichterstatter fehlt. Um so schöner, dass er ein Heimatwochenende einlegen konnte und so auch zum ungefährdeten Sieg der Reserve gegen die Kollegen aus den Walddörfern beitragen konnte. Wir drücken ihm für die weltweite Rezeption des Opus Magnum die Daumen und hoffen, dass er die Halbprofi-Jungintellektuellenkarriere wieder regelmäßig in Sasel fortsetzt. Sloterdijk ist im übrigen überschätzt (Spiel mir das Lied vom Tod solltet Ihr aber wirklich ansehen – könnte mal eine Nachwuchs-Filmreihe im Kino anbieten…).
Für die nächste Saison sollten wir uns überlegen, wie wir ein „Team ums Team“ für unsere erste Mannschaft bilden, damit sie auch in Heimspielen noch frenetischer angefeuert werden kann. Z.B. einen Freundeskreis mit schönen Kutten oder so. Das sollte doch machbar sein. Die Dritte Herren wird sich mal etwas überlegen. In das Alter der Lunestedter Zuschauer kommen wir ja auch bald…
Schöne Grüße nach Edinburough!!!
Sebastian
Den Film „Spiel mir das Lied vom Tod“ nicht zu kennnen ist in der Tat eine Bildungslücke. Insbesondere deshalb, weil der Soundtrack von Ennio Morricone natürlich legendär ist und die „Nicht-Wissenden“ das Lied wahrscheinlich „aus der Werbung“ kennen. Auf meinem TOP-1-Platz der Filme die man gesehen haben muss steht allerdings „Das Leben des Brian“ – absolute intellektuelle Grundaustattung.