Ich klappe um ½ 2 Uhr nachts meinen Laptop zu und freue mich auf mein Bett. Mitten in der Nacht klingelt es an meiner Zimmertüre. Ich frage mich, was passiert ist, öffne schlaftrunken die Türe. Vor der Tür steht eine aufgebrezelte Chinesin. Wir schauen uns verwundert an, offenbar war es ein Missverständnis, sie geht wieder. Ich schließe die Türe und lege mich wieder schlafen. Vermutlich war es eine der Escort-Ladies, deren Werbevisitenkarten gestern abend unter jede Zimmertüre durchgeschoben wurden. Mein Wecker klingelt dann um 7.15 Uhr. Nach 5 Stunden 20 Minuten bin ich nicht wirklich ausgeschlafen.
Vor dem Frühstück gebe ich Suwen noch einmal 1.000 Euro zum Eintauschen. Nach dem Einkaufstag gestern ist mein Bargeldvorrat fast erschöpft Fremdgeld in China in einer Bank einzutauschen scheint ein großes Problem zu sein. In dieser Stadt sieht man keine Ausländer, zumindest keine, die mit Bargeld bezahlen wollen, da wird ein Währungsumtausch offenbar niemals nachgefragt.
Michi kommt nicht zum Frühstück. Er ist vom gestrigen Laufen noch zu müde, kommt nicht hoch. Er meint, ein Apfel zum Frühstück reicht ihm. Nils und PatrickM kommen auch nicht rechtzeitig in die Hotelhalle. Wir laufen schon vor, die drei kennen ja den Weg zur Halle. Alle kommen pünktlich nach.
Der Hallenboden ist über den gestrigen TT-freien Sonntag neu ausgelegt worden. Er erstrahlt in einem kräftigen grün. Über die Halle hinweg sind die Bahnen Stoß an Stoß aufgelegt. Und zwei kräftige Ventilatoren stehen an einer Hallenseite und bringen Wind in die Umgebung. Der Materialchef war fleißig. Nisse verschüttet etwas Wasser beim Umfüllen. Das Wasser zieht kein bisschen in den Boden ein, es ist vielmehr glatt wie auf einer Schwimmbadkachel. Hoffentlich schwitzen wir nicht so viel, sonst wird es glatt. Wir haben zusätzliche Handtücher mitgebracht, für den Schweiß.
Auf einmal kommt eine große Gruppe Chinesen in die Halle, die wir noch nicht kennen. Es sind über 25 Chinesen, viel mehr als wir Spielpartner haben und auch mehr als wir Tische haben. Es sind junge Erwachsene und Kinder. Suwen meint, es sind Profispieler. Wir machen uns in Gruppen warm, die jüngeren Chinesen um eine Tischreihe herum, die älteren Chinesen um die zweite Tischreihe und wir schließen uns dem Programm um die dritte Tischreihe herum an.
PatrickB will heute wieder mittrainieren, Aufschläge machen oder zuspielen, mehr nicht. Nach dem Einlaufen gehen die chinesischen Kinder in eine weitere, mir bislang nicht bekannte Nebenhalle, ausreichend für 10-12 Tische, es ist aber etwas warm dort. Patrick schließt sich dem Training an, blockt eine Stunde nur zu. Sein kleiner Zuspielchinese ist etwas genervt, weil er eine Stunde lang Topspin spielen muss. Patrick hält zwei Drittel der Einheit gut durch und beendet dann das Training. Der chinesische Trainer dort – so berichtet Patrick – saß die ganze Zeit auf der Bank, hat geraucht und die Spieler hin und wieder mal zu schnellerem Einsammeln der Bälle angehalten. Trainer sein in China scheint kein besonders anstrengender Job zu sein.
Wir haben heute Vormittag große Materialprobleme. Nils hat seinen Schläger beim letzten Training zerlegt, er war seit Beginn schon leicht angebrochen. Aber er hat ein Ersatzholz dabei und gestern umgeklebt. PatrickM hat auch seinen Belag gestern geklebt, mit dem erworbenen chinesischen Kleber. Er hält nicht richtig. Auch bei Malte fallen die Bälle in der Vorhand runter. Ich nehme das Kantenband ab. Kein Wunder – ein großer Teil des Belags hält nicht mehr. Malte nimmt für den Rest der Einheit Thomas Ersatzschläger. Patrick spielt heute wieder in seinen Schuhen, er hat sie gestern im Zimmer trocken gefönt, zum Leidwesen seines Zimmergenossen. Sie sind zumindest am Anfang trocken und halten den Vormittag durch ohne stehend Wasser im Schuh. Dafür haut sich Patrick ordentlich auf in die Kante und reißt sich auch seinen zweiten Tenergy außen auf.
Der grüne Boden ist nicht schlecht, die meisten von uns kommen gut damit klar. Und es gibt auch keine Probleme mit Wasser auf dem Boden. Die Chinesen sind ziemlich stark, die besten Spieler machen im offenen Topspin-Topspin-Spiel fast keinen Fehler. Sie könnten bei uns wohl auch Bundesliga spielen, jedenfalls können sie mehr als nur Aufschlag und ersten Ball.
Das Vormittagstraining umfasst viele regelmäßige Übungen. Ich mache keine Videos von den Spielern mehr, uns fehlt ohnehin die Zeit, die Videos anzusehen. Leo ist heute nicht so gut drauf. Er hat einen Chinesen bekommen, der mit seiner Noppe sowohl angreift als auch abwehrt. Leo kommt insbesondere mit den Angriffsbällen nicht klar, ist ungeduldig und unzufrieden. Aber in der Pause will er auch nicht den Spielpartner wechseln. Maarten hat heute Probleme mit der Vorhand, tauscht mit einem Gegner den Schläger – auf einmal geht es. Was für uns sehr ungewohnt ist, sind die langen 15-min-Einheiten der Übungen bis zum Wechsel. Aber es geht alles. In Deutschland versuchen wir, durch kürzere Taktungen höhere Motivationsreize zu setzen, das ist hier nicht nötig.
Wir gehen zum Mittagessen. Das Essen wird schon zur Routine. Das Personal weiß langsam, was uns schmeckt. Aber es gibt auch jeden Tag wieder neue Gerichte. Wir nutzen die Mittagspause, um unser Material zu ordnen und Beläge zu kleben. Ich hänge PatrickMs Schuhe von draußen aus dem Fenster, lasse sie vom 6. Stockwerk runter baumeln. Hoffentlich fallen sie nicht runter, es geht direkt auf den Bürgersteig. Heute hat es 40 °C im Schatten, da sollten die Schuhe bald trocken werden. Die jüngeren vertreiben sich die Zeit gern mit Kartenspielen, Leo liest an seinem dicken Fantasy-Wälzer.
Das Nachmittagstraining läuft unerwartet. Suwen geht mit Joel zum Schwimmen, ist nicht in der Halle. Zu Trainingsbeginn läuft nur eine jüngere Chinesengruppe auf, die älteren werden rausgelassen und trainieren in den Nebenhalle, wie wir später erfahren. Der Chef-Trainer ist plötzlich auch verschwunden. Später erfahren wir, der Trainer meint, wir seien zu schwach, daher bekommen wir nur die zweite Garnitur am Nachmittag. Wir spielen Deutscher gegen Chinesen, aber haben nicht so recht einen Plan. Die „Trainingsleitung“ wurde einem älteren Mädchen übertragen. Sie gibt aber nur den Zeitwechsel vor. Das scheint hier gut zu funktionieren. Es gilt immer mal Situationen, bei denen einem Spieler in der Gruppe eine Leitungsaufgabe übertragen wird. Und das findet auch Akzeptanz. Bei uns würden wohl gleich Imponiergehabe und Positionskämpfe ausbrechen. Mir scheint, dass nur den Deutschen die Trainingsleitung irgendwie abgeht. Die Chinesen können auch ohne Trainer und ohne Ansage trainieren. Und viele von uns haben noch nicht den Mut, mal eine veränderte Übung vorzuschlagen. Wer ist jetzt selbständiger, die Chinesen oder die Deutschen?
Am Ende des Trainings machen wir noch Spiele auf zwei Gewinnsätze. Wir holen nur ab und zu mal einen Satz. Die Chinesen machen fast alle verdeckte Aufschläge, sagen unsere Spieler. Aber wir sind zu höflich, um es zu monieren. Und wir sind noch nicht erfahren genug, um den Schnitt aus der Flugkurve heraus zu lesen.
Unsere Spieler sind im Wettkampf noch klar unterlegen. Im offenen Ballwechsel können wir schon mal mithalten, aber die Kunst ist, überhaupt in den offenen Ballwechsel zu kommen. Wir haben zu viel Angst vor deren Aufschläge und noch zu wenig Selbstbewusstsein im eigenen Aufschlag und Nachsetzen. Aber eine zweite Gelegenheit zum Punkten wird es für uns in einem Ballwechsel nicht geben.
Nach dem Abendessen gehen die meisten noch einmal zum Supermarkt. Michel besorgt sich einige exotische Früchte, eine Drachenfrucht oder apfelähnliche Früchte und ein Schälmesser für 2 EUR.
Abends sind wir schon ziemlich müde, obwohl es erst Montag ist. Ich stimme die Gruppe auf eine intensive Trainingswoche ein. Die Chinesen haben Ende der Woche Sommerferien und haben ihre Bahntickets schon gebucht zu ihren Familien nach Hause, die sie das ganze Jahr noch nicht gesehen haben. Sie sind in einer Sportschule untergebracht, fern von der Heimat und sehen ihre Eltern vielleicht nur einmal im Jahr. Aber einige Chinesen haben gesagt, dass sie auch gern einige Tage verlängern würden und mit uns weiter trainieren wollen. Mal sehen, ob das klappt.
Immer mehr Spieler merken, wie wichtig der Schlaf ist und gehen rechtzeitig ins Bett. Und ich schaffe, meine Tagesmails vor Mitternacht abzusetzen und hole langsam auf.
Morgen hat Malte Geburtstag. Und es wird ein harter Tag für Malte.