Ich wecke alle telefonisch um 7.30 Uhr. Das klappt eigentlich ganz gut. Letzter Tag in Chengdu. Wir sind eingestimmt auf einen Kulturtag. Wir müssen am Vormittag auschecken und haben kein Training mehr, unser Flugzeug nach Changsha fliegt aber erst am späten Abend. Wir wollen die Zeit nutzen und sind auf einen Ausflug eines chinesischen Parks am Vormittag eingestimmt, danach vielleicht noch ein Marktbummel, dann zurück in die Sportschule, von wo wir dann mit Gepäck zum Flughafen starten wollen.
Suwen bringt uns ein kleines Frühstück an die Türe, Sojamilch und zwei Milchbrötchen, ein einfaches Gedeck. Und fragt herum, ob die Gruppe vielleicht lieber zum Chengdu- Heidepark fahren will. Da war die Antwort natürlich klar. Um 9.00 Uhr haben wir unsere Koffer gepackt und im Hotel untergestellt und gehen erwartungsgespannt in die örtliche Version eines Freizeitparks. Ich bin skeptisch, habe ich doch noch den Heidepark-Verschnitt aus Zhongshan im Gedächtnis. Der war eher eine Enttäuschung.
Wir fahren mit vier Taxen hin. Das dritte und vierte Taxi hielt gar nicht erst, mussten ersetzt werden durch zwei Mofa-Taxis. Taxifahren ist für uns Deutsche schon ein Abenteuer, aber erst das Fahren in Mofa-Rikschas gibt den richtigen Adrenalin-Kick, ohne Knautschzone, wie in der Geisterbahn, nur live. Die Fahrer schlängeln sich durch die Straßen, das Hupen hört man ungefiltert, die Gegenfahrspur scheint zum natürlichen Lebensraum des Chinesischen Taxifahrers zu gehören. Am Ende sind alle froh, unverletzt wieder festen Boden betreten zu können.
Wir treffen uns vor dem Eingang. Die Anlage wirkt sehr imposant, große Achterbahnen regen in den Himmel. Regenkeep-Verkäufer bieten uns dünne Plastikkeeps für 5 Yuan an. Wir lehnen erst mal ab, die wird es später billiger geben. Vieles erinnert tatsächlich an den Heidepark, die ständige Beschallung, die Übersichtskarten, das ganze Ambiente und nicht zuletzt die Preise, die mit rund 24 EUR für chinesische Verhältnisse recht teuer sein müssen.
Wir vereinbaren eine Zeit in vier Stunden, teilen uns frei in Gruppen auf. Ich laufe zusammen mit Philipp, 2*Patrick, Nils und Julian. Wir schauen uns verschiedene Fahrgeschäfte an, irgendwie traut sich keiner rein. Ich will lieber Fotos machen, Philipp ist zu groß, die Patricks trauen sich nicht, Nils ist auch nicht viel mutiger und Julian mag Fahrgeschäfte ohnehin nicht. Ich bin also in der Hasengruppe gelandet. Macht nichts, rumlaufen ist auch ganz nett. Wir bleiben lange am Mountain-Rafting stehen. Gehen einige rein oder nicht? Fast alle sind in Regenkeeps, das Wasser schwappt bedenklich hoch über die Bordkante und am Ende machen sich noch alle einen Spaß, die Bootsfahrer mit einer Wasserspritze zu traktieren. Wir haben keine Keeps, können auch keine zum Kaufen entdecken. Wir verzichten und gehen lieber ins Feuerwehrauto, das sich bedenkliche 3 Meter hoch in die Höhe bewegt. Immerhin, Fahrgeschäfte mit dem Thrilling-Index von 2 Sternen können wir schon.
Das Publikum ist jung, wie auch in unseren Parks. Die Jugendlichen sind modern gekleidet, haben alle ihre Handys dabei. Die Mädchen sind sehr vielfältig und bunt bekleidet, mit adretten Röcke ebenso wie mit schicken Kleidern oder T-Shirt und Jeans, mache sehr westlich, manchmal traditionell asiatisch, oft mit einem aufgemalten Tattoo im Gesicht, sehr lustig. Bei den Jungs erkenne ich keinen wesentlichen Stilunterschied zu Europa. Alle benehmen sich relativ gesittet, keiner versucht besonders cool rüberzukommen, alles wirkt sehr natürlich.
Zwischendurch werden wir als Europäer immer mal neugierig beäugt. Wir werden gelegentlich von 13- bis 15-jährigen kichernden Mädchengruppen umlagert und ganz mutige Mädchen nutzen mal eine günstige Gelegenheit zur Ansprache mit der Bitte um ein gemeinsames Foto, in einfachen Worten oder auch gutem Englisch. Und ziehen dann wieder laut kichernd von dannen. Mir kommt es so vor, als wäre ein Foto zusammen mit einem von uns der Hit in den chinesischen sozialen Netzwerken, so wie in Deutschland ja auch alle komischen Fotos gleich auf Facebook hochgeladen werden. Wir geben gern den Gruß-August. Die größten von uns werden am häufigsten gefragt, vorweg Philipp, den hier alle für einen Riesen halten und zum lebenden Inventar des Freizeitparks zählen. Insgesamt kommt klar Julian auf Platz 2 und gelegentlich verirrt sich auch mal eine Anfrage an mich. Die Asiaten können halt einzelne Europäer ebenso wenig vom Gesicht unterscheiden können wie umgekehrt.
Neben einem Europäer zu sitzen oder von einem Europäer in einer Fremdsprache angesprochen zu werden muss für Mädchen und junge Damen etwas ganz Besonderes sein. Nils Nachbarin in der Riesenkranke ist auch gleich der Kinnladen runtergefallen, so dass ihr das Wasser aus dem Munde lief. Schön, dass wir die Leute so zu Lachen bringen können.
PatrickM nimmt seinen ganzen Mut zusammen und will in die Medium-Achterbahn gehen. Er häng am Leben, sagt er und man habe ihm beigebracht, dass es für jeden nur ein Leben gebe. Zusammen mit Nils gehen beide den Eingang rein. Patrick gibt mir noch sein i-Phone und die PIN-Nummer und trägt mir auf, seine Mutter zu informieren, wenn er nicht lebend wieder kommt. Beide verschwinden in der lange Eingangszone. Nach 8 Minuten kommen beide unverrichteter Dinge zurück. Schade, die Bahn öffnet erst mittags. Ich gebe Patrick sein Handy zurück mit dem Hinweis, ich hätte schon zu Hause angerufen, er war ja so lange weg. Auch die daneben befindliche Geisterbahn ist außer Betrieb. Da ist gerade einer überfahren worden, raune ich Patrick zu, das dauert jetzt 10 Minuten bis die Bahn wieder frei ist.
Allgemein sind die Sicherheitsstandards im Park sehr hoch. Überall Hinweisschilder, Höhenmesser, Ketten hier und dort. Der Park wird von einer kanadischen Kette betrieben, es würde mich nicht wundern, wenn es derselbe Betreiber ist wie beim Hansapark.
Wir begegnen einer anderen Gruppe von uns. Philipp schwärmt von Mountain-Rafting, als wäre er schon drei Mal drin gewesen und empfiehlt die Fahrt, auch ohne Regenkeep. Wir seien auch trocken raus gekommen.
Inzwischen ist die Medium-Achterbahn wieder offen. Wir gehen hin, Nils und PatrickM gehen rein, müssen anstehen. Und wieder kommt eine Gruppe von vier jungen Mädchen, fragen nach einem Foto mit Julian. Sie sprechen uns in Englisch an, woher wir kommen. Wir kommen leicht ins Gespräch. Die Mädchen sind 13 Jahre alt, sagen sie. Jetzt wollen sie Julians Handynummer, wählen auch zur Probe, ob sie geht. Und dann muss Julian seine Mailanschrift rausrücken. Die Mädchen gehen kichernd und zeigen sich gegenseitig ihre Fotos. Mal sehen, ob Julian Post bekommt.
Wir treffen uns um 14.00 Uhr am vereinbarten Treffpunkt. Wir kommen etwas später und werden mit freudigen Schreien empfangen. Tatsächlich – die andere Gruppe bestehend aus Michel, Malte, Jonasz, Michi, Nisse, Maarten und Leo waren fast klitschnass, wie einmal durchs Wasser gezogen. Philipp und die andere lachen sich schlapp, währenddessen Nisse sich von hinten anschleicht und dem Verursacher zumindest in den Genuss einer kleinen Wasserfontäne kommen lässt. Philipp verteidigt sich: „Und ich habe doch ganz laut betont, geht nicht ohne Regenkeep in das Boot“.
Wir haben Hunger, bestellen 17 Mal ein Big-Mac-Menü. Schön, dass es McDonalds auch in Changsha gibt. Wir verlängern noch um zwei Stunden. Und jetzt packt langsam auch die Hasengruppe der Mut. Alle gehen zur roten Super-Achterbahn. Keiner will so recht nachstehen und traut sich nach und nach rein. Sogar Philipp trotz Übergröße. Und dann plötzlich können PatrickM und Nils gar nicht mehr genug bekommen, gehen direkt vom Ausgang wieder zum Eingang, mindestens sechs Mal. Die jüngeren sind ohnehin bei allen Fahrten dabei, sie sind halt jung und risikofreudig. Jonasz kann gar nicht schnell genug in den Eingangsbereich kommen, sucht mit einem eleganten Hüftschwung den Abkürzung über das Geländer und haut sich ordentlich das Schienbein an. Aber das war es wohl wert.
Wir gehen noch in ein 4D-Kino, eine Mischung aus Geisterbahn mit Rundum-D3-Show. Der Park schließt bald. Wir sind müde. Auch die anderen haben an diesem Tag viele lustige Sache erlebt. Es ist zum Glück ein diesiger Tag, vielleicht 27°C, ohne direkte Sonne, somit sehr erträglich und die t-Shirts und Hosen sind inzwischen auch getrocknet. Nicht auszudenken, wenn an diesem Tag voller Sonnenschein gewesen wäre. Wir gehen raus aus dem Park, fahren in zwei alten überladenen Schwarzmarkt-Kleinbus-Taxen ins Hotel. Der Chef-Trainer und die Assistentin verabschieden uns noch am Bus, jetzt geht es zum Flughafen.
Die Abfertigung verläuft problemlos. Wir haben noch Hunger, wollen etwas essen. Ich bin klar für Chinesisch, alle unter 25 wollen mit Gewalt zum Flughafen-McDonalds, können es nicht oft genug wiederholen. Ich bin genervt, das erste Mal auf der Fahrt. Wir fliegen nach China und die Bande will zwei Mal am Tag zu McDo – unfassbar. Ok, wir trennen uns. Die Mackies ordern in Hektik ihr Menü, wir anderen nehmen eine chinesische Maultaschensuppe, dann geht’s zum Boarding.
Abflug ist gegen 23.00 Uhr, wir landen gegen 1.30 Uhr, sind hellwach, aber total durstig nach dem langen Tag (und wohl auch den McDo-Menüs). Es gibt nichts mehr zu kaufen. Wir werden von einem Chinesen abgeholt, Mr. Fan. Er soll wohl unsere Reise in Changsha begleiten und organisieren. Wir fahren mit einem Luxus-Reisebus in die Stadt, ca. 30 min. Es ist leicht regnerisch, hat aber t-shirt-Wärme.
Wir werden vor einem Im Hotel abgesetzt, dem „Inn Orange“. Suwen lässt uns gleich wieder allein, muss wieder mit dem Taxi zurück zum Flughafen. Thomas Bienert mit Töchtern Jennifer und Kristin stoßen auch zu unserem Training dazu und sollten eigentlich vor uns in Changsha eintreffen. Allerdings hatte deren Flug drei Stunden Verspätung, so dass die drei gegen 3.00 Uhr morgens erwartet werden. Ich bedauere Suwen und sehe, wie viel sie mit der Organisation im Lande zu tun hat. Jetzt ist Suwen genervt. Wir treffen uns noch mal mit der Gruppe in einem Zimmer und organisieren den nächsten Tag: Die Spieler können um 8.30 Uhr frühstücken, dann wieder schlafen, dann Mittagessen und nachmittags soll vorgespielt werden. Wir sind gespannt. Das Hotel wirkt sehr nobel, für China untypisch, etwas dunkel und in schwarz gehalten, mit klarer Linienarchitektur. In Deutschland würde es als nobles Designer-Hotel durchgehen. Auch hier haben wir Zweierzimmer, Bad/WC/Klima, Internet-Anschluss, Fernseher und Telefon. Wir haben stechenden Durst und ordern noch nachts um zwei Uhr 14 Flaschen Wasser, das muss reichen bis zum Morgen.
Ich bin noch hellwach, checke noch meine Mails und falle endlich gegen ½ 4 Uhr morgens ins Bett. Um 7.15 Uhr klingelt der Wecker klingeln. Im Gegensatz zu den Teilnehmern darf ich nach dem Frühstück nicht wieder ins Bett.
Und morgen erfahrt ihr etwas über chinesische Organisation und eine Oma, die uns scheucht.