Wir haben alle auf den Steinen unerwartet gut geschlafen. Lutz ist begeistert – er hat hier auf den harten Betten keine Rückenschmerzen mehr, zu Hause immer. Wir entdecken eine Marktlücke in Deutschland. Wenn 1 Milliarde Chinesen auf harten Betten schlafen können und 80 Mio. Deutsche ständig Rückenschmerzen haben, sollten wir ein „Chinesisches Bettenlager“ aufmachen.
Es regnet in Strömen, wird kaum hell. Es gibt Toast mit Marmelade zum Frühstück. Florin hatte nach einer Portion Diclofenac (= Voltaren) eine schmerzfreie Nacht.
Wir checken aus und fahren mit dem Bus nach Kaili. Während der dreitägigen Reise werden wir im Bus ständig von dem Verbandsfunktionär begleitet. Ich habe das Gefühl, dass dies deutlich mehr als nur reine Höflichkeit ist. Er telefoniert ständig. Die Schiedsrichter sind auch dabei, Mathias Hamm redet angeregt mit einem Schiedsrichter auf Englisch.
Im Bus hören wir zum dritten Mal ein bestimmtes chinesisches Lied, das auch in unseren Ohren wie ein Ohrwurm klingt. Bei einem abendlichen Stadtbummel in Guiyang hatten wir dieses Lied zu ersten Mal gehört, auf dem Marktplatz haben sich rund 100 Mädchen und Frauen zum Rhythmus der Melodie bewegt und ihre Arme geschwungen. Spontan erklären wir dieses Lied zu unserem „China-Lied“. Der Titel, so erklärt uns Suwen, lautet „Mädchen mit 18 Jahren – so schön wie Blumen“.
Wir haben eine normale Warnblinker-Eskorte. Suwen meint aus Sicherheitsgründen, es gibt wohl auch gelegentlich Straßenräuber. Wir halten an der Olympia-Kajakstrecke an, es regnet noch immer. Wir schauen zu, wie chinesische Kajaksportler trainieren. Es heißt, wir können den wilden Kajakkanal mit einem 2-Meter-Schlauchboot runterfahren. Spontan wollen unsere Jungen fahren, sind kaum zu halten. Mir kommen Bedenken, der künstliche Kanal wirkt alles andere als harmlos, wenn man ins Wasser fallen sollte, trotz Schwimmwesten. Dann heißt es, wir dürfen nicht fahren – aus Sicherheitsgründen. Die Jungen sind schwer enttäuscht, ich bin erleichtert.
Wir fahren ein kurzes Stück zu einem Fluss. Dort steigen wir alle in ein Boot ein, beginnen mit einer 45-minütigen Bootsfahrt. Es regnet noch immer, aber es herrschen unverändert T-Shirt-Temperaturen. Wir sind unter einem offenen Dach und genießen gelebte Langsamkeit, um uns herum wilde grüne Hügellandschaften und weite Flussniederungen. Einige Fischer sind unterwegs, ein totes Schwein hat sich rücklings im Ufergeäst verfangen.
Weiter geht es, wir checken im J.K. Regency Hotel ein, essen kurz und laufen zu einer nahegelegenen Trainingshalle, eine Kellerhalle. Es regnet noch immer. Wir gehen die feuchte Betontreppe runter. Es rumst, Tobi rutscht aus und knallt mit den Füßen voraus auf die Stufen, prellt sich das Steißbein. Schmerz! Nicht auszudenken, wenn Tobi seinen Rucksack nicht auf dem Rücken gehabt hätte. Das Training für Tobi fällt aus, wir zählen den zweiten Verletzten.
Wir trainieren 1:1 mit Chinesen, eher Hobbyspieler. Mr. Chen macht Balleimer. Sehr effektiv, ich höre wieder viel zu, übe selbst die Koordination im für mich ungewohnten direkten Balleimerzuspiel. Michel meint, ich würde schneller einspielen als Mr. Chen. Naja, meine Koordination klappt noch. André klagt über Schmerzen in der Schulter.
Wir fahren zurück ins Hotel und sind gerädert. Florins Arm wird nicht besser. Kurzes Abendessen im Hotel, Mathias Harth gibt zum Nachtisch eine Runde Diclofenac für unsere Verletzten aus. Es geht weiter zum Wettkampf in die Stadt Majiang. Der Ablauf ist heute ganz besonders von Terminstress geplagt. Rein, raus, action, rein, raus, action. Das Team wirkt recht mitgenommen. Ich kann mir vorstellen, wie echte Profisportler genervt sind, wenn sie fremdbestimmt von Termin zu Termin hetzen müssen.
Die Halle ist eher klein, zwei Tische, aber voll besetzte doppelte Stuhlreihen rundherum. Und unser bekanntes Schiedsrichterteam. Die Halle ist angenehm kühl, zwei große Klimaboxen dimmen die Temperatur auf europafreundliches Niveau. Tobi und Florin setzen aus, ich habe keine offizielle Aufgabe heute, wir starten mit 8 Aktiven in zwei Teams. Tobi wird von einem Fernsehteam interviewt.
Heute startet Michel im Team1. Beide Teams sind gleichermaßen erfolgreich, mit 1:7. Lutz und Stefan können je ein Spiel gewinnen. Jenni hält sich wacker, Mathias Hamm verliert etwas die Kontrolle. Michel läßt sich im ersten Spiel beeindrucken und versucht es wenigstens danach, André spielt schwach und mag zum zweiten Spiel wegen seiner Schulter nicht mehr antreten. Später meint er, 80% war der fehlende Kopf schuld, nur 20% die Schulter.
Ich erlasse Florin und André das Vormittagstraining am nächsten Tag, beide können bis 11.00 Uhr durchschlafen und sind selig. Als Betthupferl gibt es eine Runde Diclofenac, wir fallen in die Betten.
Und morgen hört ihr vom dritten Tag unserer Tour und unserer Fahrt nach Hot Springs.