Zweiter Turniertag

Von 3. September 2011 Allgemein, China, China 2011 Keine Kommentare

Wir werden heute etwas später abgeholt, so gegen 7.30 Uhr. Thorben und Marci haben keinen Einsatz, fahren nicht mit uns und wollen lieber trainieren.

Heute ist der erste Teil des Einzelwettbewerbs. Wie auf einer BCDE-Meisterschaft wird in verschiedenen Altersklassen gestartet, die älteste Klasse ist Ü60. Schon interessant zu sehen, wie beweglich diese Senioren sind, sie schwingen Topspin mit hohem Tempo, mit Shakehand, klassischem oder modernem Penholder. Ich werde von einer Schiedsrichterin in Englisch angesprochen, eine Gruppe von Englisch-Studenten. Gutes Englisch, Redewendungen, aber sie waren noch niemals im Ausland. Es kommt oft vor, dass wir von Chinesen angesprochen werden und auch erstaunlich viele junge Chinesen können zumindest passabel englisch sprechen. Simon gibt ein Interview in Englisch vor laufender Kamera. Ich meine, China wird sich zwangsläufig öffnen. Schon heute gibt es mehr englischsprachige Chinesen als Engländer auf der Welt!

Als Europäer sind wir eine Attraktion hier. Wir werden oft spontan zu einem Foto gebeten oder die Chinesen, alt und jung, fordern unsere Aktiven zu einem Satz auf den freien Tischen heraus.

Es wird in 4-er-Gruppen gespielt. Tobi und auch Simon verlieren ihr erstes Spiel knapp im fünften Satz. Ihr zweites Spiel geht jeweils gegen einen etwa 11- bis 13-Jährigen Schüler, das ist keine Hürde für beide. Das dritte Spiel fällt für beide aus, die Gegner sind nicht erschienen. Bei Janni war es noch extremer, er spielt in einer Zweier-Gruppe. Sein erstes Spiel geht gegen einen starken Gegner. Janni müht sich, kann aber keinen Satz holen. „Der gewinnt bestimmt das Finale“, wettet Tobi; Janni hält dagegen. Jetzt sind wir alle drei als Gruppenzweiter weiter.

Auf einmal ist Mittagspause. Für ca. 60 Minuten ruht der Turnierbetrieb. Alle essen eine lauwarme Mahlzeit vom Service, wir werden auch mit einer Box aus dem Restaurant versorgt, es schmeckt gut. Dabei entspannen sich Gespräche zwischen den chinesischen Mädchen und unserer Gruppe. Janni ist besonders beliebt, schäkert mit den Mädels herum. Danach klicken sich die Mädels durch meine bislang 685 Fotos und Videos aus China.

In den Pausen oder gemeinsamen Busfahrten wurden die Chinesen zunehmend gesprächiger. Jeder hat sein Handy, macht Bilder oder spielt damit. Einige haben Englisch gelernt, freuen sich mit uns sprechen zu können. Andere hören ein Mal deutsche Worte und sprechen sie akzentfrei nach.

Schade, dass wir kein knappes Spiel gewonnen haben, jetzt bekommen alle einen Gruppenersten im ersten ko-Spiel unter den TOP16. Die ko-Spiele sind morgen. Tobi hat eine günstige Auslosung, meint Suwen. Die anderen beiden haben eine schweres Los gezogen.

Wir fahren zurück zur Sportschule. Thorben und Marci trainieren. Beide haben auch schon das Vormittagstraining mitgemacht. Drei junge Trainer sind da, die das Schülertraining anleiten. Einer konnte Englisch. Er hat eine Coaching-Ausbildung, sagt er. Dies ist hier wie Spieler oder Trainer wohl ein Beruf, der einen Chinesen ernähren kann.

Mittags wollten Thorben und Marci eigentlich zum Shopping in die Stadt, haben dem Fahrer das Wort „Shopping“ zugerufen. Der ist zunächst abwehrend, gestikuliert, will nicht fahren. Ist es zu weit? Nach Diskussion lädt er beide in einen kleinen Tiertransporter ein und fährt sie. Er hält um die Ecke vor einen Supermarkt. Nix mit Shopping – zurück zum Training.

Heute am Samstag ist die Hütte voll mit vielen Zwergen. Thorben und Marci trainieren Ballkiste, gehen danach auf allen Vieren aus der Halle.

Kindertraining läuft hier anders ab als bei uns. Etwas laut ist es schon, es sind Freudenrufe, wenn der Ball besonders gut geschlagen wurde. Die Kleinen sind so zwischen 5 und 10 Jahre alt, überwiegend Jungen. Am Tisch gegeneinander spielen nur Spieler, die die Grundschläge schon recht gut beherrschen. Ich denke, diese könnten bei uns in der Schüler-Leistungsklasse oder Nord-1 oben gut mitspielen. Wer noch nicht so weit ist, wird am Balleimer trainiert. Einfach VH-Kontern oder VH/RH-Wechsel – Wiederholung und viele Ballkontakte. Wer allein ist, ahmt Bewegungsfolgen nach oder macht aus eigenem Antrieb Aufschläge, und selbst die Kleinsten haben den Bogen dafür schon raus. Übungen werden mit Freude gespielt. 10 Minuten warmmachen, dann ran an den Tisch. Lauftraining oder Kraftübungen habe ich keine gesehen, dennoch wirken die Spieler alles andere als behäbig oder kraftlos.

Ist chinesisches Training Drill? Ich habe niemals einen Ansatz von Drill beobachtet, keine Disziplinierung oder Maßregelung, aber auch keine Unlust oder Widerworte der Spieler. Thorben berichtete allerdings von strengen Zurechtweisungen durch die drei Trainer oder feste Klappse der Eltern, wenn die Kleinen sich nicht bewegen wollen. Die Kleinen zeigen Freude am Spiel und am Training. Die älteren Jugendlichen verziehen während der Übungen kaum eine Mine, tun wie ihnen geheißen wird. Für sie ist dies wohl wie Schule, wie eine Ausbildung zum TT-Spieler. Einige Spieler der Sportschule kommen aus weit entfernten Familien und haben ihre Eltern zum Teil seit mehr als einem Jahr nicht gesehen – und das bei der chinesischen Ein-Kind-Politik. Das schafft auch Formen der Disziplin. Aber die Ausbildung eröffnet den Spielern wohl größere Perspektiven später. Die Spielereltern müssen 80 € im Monat fur ihre Kinder bezahlen. Hierzulande liegt der durchschnittliche Monatslohn bei 300-400 €. Später bekommen TT-Spieler Boni bei der Aus- und Fortbildung oder beim Studium.

Wir fahren im Bus zurück in die Stadt. Eine Familie mit einem Kind sitzt hinter mir im Bus. Mr. Luo hat den Kleinen auf dem Turnier entdeckt und will den Eltern gleich seine Sportschule zeigen um ihn anzuwerben. Janni hatte in einem Fun-Match soger 1:2 gegen ihn abgegeben. Ich schaue die Mutter an, sie schaut mich an und reibt sich die Nase, als ob sie mir bedeuten wolle, daß ich einen Fleck auf der Nase hätte. Ich wische mir den vermeintlichen Fleck weg, die Familie lacht. Die Mutter führt den Finger des Kleinen über meine Nase und ich werde daran erinnert, dass wir Europäer zur Rasse der Langnasen gehören.

Alle bis auf Simon haben noch Lust auf Training – ein gutes Zeichen. Sie sind angesteckt von der Trainingslust der Chinesen. Simon will lieber schlafen, wie Suwen, wir fahren ins Hotel. Ich mache einen Spaziergang ums Hotel. Überall kann man kleine Lädchen sehen. Die Erdgeschoss-Zeile der einfachen Gebäude besteht aus Boxen, die zur Straßenseite ganzseitig offen sind und als Ladenlokal dienen. Nachts wird ein Gitter herunter gelassen. So liegt Laden an Laden, für alle Sachen des täglichen Bedarfs.

Am Abend klagt Tobi wieder über seinen Rücken, Simons Füße beginnen zu schmerzen, Marci klagt jetzt über eine Adduktorenreizung vom heutigen Training. Wir fahren gemeinsam zum Abendessen. Es gibt u.a. Lotuspflanze, erstmals gebratene Tauben (schmeckt ähnlich wie Ente), Muscheln und wieder leckere scharfe gefüllte Paprika. Im Gegensatz zum China2009 ist das Essen hier überwiegend mild gewürzt und sehr schmackhaft.

Danach fahren wir in die Stadt. Es ist 22.00 Uhr abends, angenehm warm, die Shopping-Mall ist gut besucht. 50% der Geschäfte sind Modeläden, ein Paradies für unseren modebewußten Marcel! Eine halbe Stunde probiert Marci stylische Klamotten an und verlässt den Laden dann ohne etwas zu kaufen. Die anderen 50% verteilen sich auf Fastfood (klassisch-chinesisch und westlich), Süßigkeitenshops oder Milchspezialitäten. Wir kaufen noch bei 361Grad, dem chinesischen In-Label für Sportswear. Es kostet 50% vom ausgezeichneten Preis. Wir fahren mit dem Taxi zurück – 1,50 € pro Tour.

Morgen ist der dritte Turniertag, und morgen erfahrt ihr auch, wie man ein Restaurant in China richtig zum Kochen bringt.

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