Schnitzeljagt in Zunji

Wir schlafen bis 8.00 Uhr, es ist ein sonniger Tag. Es klopft, wir müssen plötzlich schon zum Frühstück mit Gepäck auschecken. Leichte Panik, die Tournee nervt schon wieder. André vermisst Geld, er findet es im letzten Moment unter seinem Bett.

Das ärztliche Bulletin von heute: Tobi hat noch Schmerzen bei Bewegungen, Maharth ist noch außer Gefecht, jetzt fängt Lutz an zu wackeln. Florin hat eine schlaflose Nacht und unverändert Schmerzen im Arm.

Wir wissen nicht, wer am Abend spielen soll. Wir steigen direkt vom Frühstück in den Bus nach Zunji ein, 90 min Fahrt, wie es heißt. Allein aus der Stadt raus brauchen wir fast 90 Min., totales Verkehrschaos. Wir haben zwar einen Polizeiwagen mit Blaulicht vor uns, aber ohne Sirene wird er nicht wirklich ernst genommen. Und mit Sirene wüsste auch keiner, wo er hinfahren sollte.

Maharth hat seinen im Hotelzimmer verloren geglaubten i-pod wieder gefunden. Die Meldung wird durchgegeben. Wir hoffen, dass das Zimmermädchen ihren Arbeitsplatz behält.

Die Fahrt entwickelt sich weiter chaotisch. Der Polizeiwagen begleitet uns den ganzen Weg nach Zunji voraus. Polizist in China scheint ein ruhiger Job zu sein. Wir fragen, wie lange es noch dauert. „Eine halbe Stunde“, hören wir. Das ist die Standardauskunft während der nächsten zwei Stunden. Wie wir später erfahren, ist die Autobahn gesperrt. Der Fahrer musste einen weiten Umweg fahren, das erklärt die unwegsamen Straßen. Unsere Gastgeber wollten uns wohl mit dieser schlechten Nachricht nicht belasten.

Zunji ist eine chinesische Kleinstadt, so ca. 2 Mio. Einwohner. Unser Bus hält vor einem flachen Pavillon in der Stadt Zunji. Es ist heiß. Wir werden von drei Dutzend Leuten empfangen. Wir betreten das Gebäude, es ist eine Bauausstellung. Wir werden kurz auf Englisch willkommen geheißen, man erklärt uns in Englisch anhand eines acht Meter langen Modellbaus ein mehrjähriges Bauvorhaben. Eine junge Dame stellt sich mir in flüssigem Englisch als Mitarbeiterin der Baufirma vor. Wir wissen nicht so recht, was unsere Aufgabe in diesem Spiel ist und was wir hier sollen. Ich mache ein interessiertes Gesicht, stelle artig ein paar Fragen zum Bauvorhaben und fühle mich wie ein Politiker, der zum ersten und letzten Mal einen Rundgang in einer Fabrik macht.

Die Mitarbeiterin und ich gehen samt Tross einige hundert Meter zur Baustelle. Sie hat mal in Kanada gearbeitet und beeindruckt mich mit Wissen über Hamburg, im Internet gelesen, wie sie betont. Es gibt kaum Ausländer in dieser Provinz. Ich erfahre, dass die Wohnungen rund 500 € pro Quadratmeter kosten und dass die globale Wirtschaftskrise keinerlei Auswirkungen auf diese Provinz hat und hier keine Thema ist. Ganz doof stelle ich mich wohl nicht an, zumindest taugen wir den Fotografen als willkommenes Bild gelebter Völkerverständigung. Zum Schluss Fototermin, später erfahren wir, dass die Baufirma der Hauptsponsor für das Spiel heute Abend ist.

Wir kommen an der Sportarena vorbei und halten, darin ist auch der „Butterfly-Shop“ gelegen. Wir staunen. Die Halle umfasst rund 3000 Plätze, der TT-Wettkampf China-Deutschland ist auf einem großen Spruchband angekündigt. Der Shop ist schlecht sortiert, aber Florin kann sich dort eine Handgelenksbinde für die rechte Hand kaufen, gut angelegte 3 €.

Weiter geht es zum Hotel. Die Zimmer versprühen den morbiden Charme der 60-er Jahre, es riecht muffig, Maharth vermutet, dass es eigens für uns geöffnet ist. Wieder werden wir mit dem Bus zu einem Lokal gekarrt, Mittagessen. Die Waren sind frisch, der Besitzer hat rund 20 Aquarien mit lebenden Schlangen, Fischen, Hummern, Skorpionen und Garnelen ausgestellt. Das Essen ist halboffiziell, keine Ansprache, aber feste Sitzordnung. Tobi ist genervt, er muss schon wieder an Tisch1 sitzen, ebenso wie Thomas und ich. Ich trinke meinen ersten Schnaps im Leben zu einem Mittagessen. Wollen die Chinesen uns betrunken machen, damit sie gewinnen?

Wir kommen zurück zum Hotel, wer kann, begibt sich in die Halle zum Einspielen/Training. 5 Spieler + 2 Verletzte machen davon Gebrauch, der Rest erholt sich. Ein Arzt wird in die Halle beordert, für Tobi und Florin. Bei Tobi wird eine leichte Massage gemacht dann zupft er Florin einige Male an den Fingern und stellt die Diagnose „halben Monat Pause“. Florin ist niedergeschlagen.

Zurück ins Hotel, Abendessen im Tross ohne offiziellen Teil. Es gibt ein neues Gericht, das wir noch nie hatten: Ein Teller mit kleingeschnittenem Schnitzel erfreut unsere Jugendlichen so, dass sich alle mit ihren Stäbchen auf die Stücke stürzen, die innerhalb von Sekunden weg sind. Auch der Nachschubteller hält der Schnitzeljagd nur Sekunden stand, die Bedienung staunt nicht schlecht.

Dann hetzen wir in die Halle, dort donnert schon die Musik für die anwesenden 500 Leute. Wir spielen uns an den beiden Einspieltischen in der Umkleide ein. Dann offizielle Begrüßung, Vorstellung der Ehrengäste, Austausch der Wimpel, namentliche Vorstellung der Teams. Zwei Redner treten ans Mikrofon, Suwen übersetzt, alle klatschen nach jedem Satz. Jetzt bin ich an der Reihe. Ich halte vor inzwischen über 2000 Chinesen eine kurze Dankesrede und bin sicher, dass mich außer unserem Team keiner versteht. Suwen übersetzt, es gibt Beifall.

Die Spiele beginnen, wieder geleitet von dem uns bestens bekannten Schiedsrichterteam. Wir spielen in drei 3-er-Teams. Stefan darf im Team1 starten, da Maharth aussetzen muss, starte ich in Team2. Wir haben keinen Fanblock, aber ein faires Publikum, das allerdings zum Teil geht, nachdem der offizielle Leiter weg ist. Mir kommt der Gedanke an Jubelchinesen aus der Baufirma. Die Polizeipräsenz ist nicht so hoch.

Wir bekommen auf die Mütze, 0:3 das Ergebnis aller Teams. Aber André überwindet sein „Ich-weiß-nicht-Syndrom“ und kämpft richtig gut. Die Tagessieger bemessen sich nach Sätzen. Immerhin einen Satz konnten holen Michel, Tobi, André und Stefan. Am Ende zückt der Bürgermeister noch seinen Schläger, spielt gegen Lutz außer Konkurrenz. Lutz gewinnt klar mit 3:1 und lässt seinem Gegner einen höflichen Satz. Der Bürgermeister ist sehr TT-begeistert und spricht schon von einem Sportleraustausch und einer Sportschule. Mir scheint, dass viele Lokalfürsten an einer Verbindung politisch stark interessiert sind, dies wäre bestimmt auch für den HTTV eine tolle Sache.

Bei der Siegerehrung bekommen wir noch einige Pokale und große Blumensträuße. 15 min Fototermin, jeder mit jedem. Unsere Jugend ist begehrt bei jugendlichen Zuschauern, Florin ist der gefragteste Kandidat.

Die Show geht noch weiter, um 22.45 Uhr müssen wir noch zum Abendimbiss antreten, in dieser Region wird halt vier Mal täglich gegessen. Aber es ist relativ informell, ich komme um einige Male Anstoßen mit dünnem Bier nicht herum. Am Abend klagt auch Lutz über Darmprobleme, viele sind noch immer recht angeschlagen.

Wir machen wieder eine nächtliche Tagesbesprechung im Kreis der Jungen, einige andere verlieren sich kurzzeitig n der Karaokebar des Hotels, gefolgt von unserem Sicherheitsoffizier. Wir fallen ins Bett – endlich ist unsere Tournee vorbei, wir fühlen uns wie ein Wanderzirkus.

Morgen erfahrt ihr, welche Sachen man noch in China essen kann und wie Shoppen in Guiyang läuft.

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